Aktuelles aus den Recura Einrichtungen



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Der Patient ist etwas aufgeregt. Gegen Grippe und andere Krankheiten lässt er sich nicht immer impfen. Jetzt aber doch. „Corona scheint mir gefährlicher zu sein als die Grippe“, sagt er und lässt sich klaglos die Spritze mit dem Biontech-Impfstoff Comirnaty in den linken Oberarmmuskel setzen. Die Krankheit sei heimtückisch. Man könne schon zehn Leute angesteckt haben, bevor man merke, dass man sich infiziert habe, sagt der Mann.

Impfsprechstunde bei Katja Buschke im Medizinischen Versorgungszentrum der Recura-Gruppe in Beelitz-Heilstätten. Die Allgemeinmedizinerin hat an diesem Tag Anfang Mai zwölf Patientinnen und Patienten einbestellt, um ihnen die erste Spritze gegen Corona zu verabreichen. Derzeit sind in ihrer Praxis vor allem Patientinnen und Patienten der Risikogruppe zwei und einige der Gruppe drei dran - Personen über 70 beziehungsweise 60 Jahren, mit bestimmten Vorerkrankungen oder Berufsgruppen. Im Schnitt 50 Dosen können Buschke und ihre Praxiskollegin Karin Siegel in der Woche verimpfen - ja nachdem, wie viel Impfstoff sie zugeteilt bekommen. Sie machen dafür Extra-Schichten. Seit der Woche nach Ostern dürfen auch Hausärzte gegen das Coronavirus impfen. Seitdem hat das Tempo merklich zugenommen. Mittlerweile hat knapp jeder dritte Brandenburger die erste Impfung erhalten, mehr als jeder zehnte ist vollständig geimpft. Allerdings steht Brandenburg bei den Erstimpfungen bundesweit an vorletzter Stelle.

„Sie haben ja nicht mal geweint“, frozzelt eine ältere Dame, als der soeben geimpfte Patient wieder wie vorgeschrieben im Wartezimmer Platz nimmt, um dort noch eine Viertelstunde etwaige allergische Reaktionen abzuwarten. Bei Buschke läuft es jetzt wie am Schnürchen. Impfling ins Wartezimmer holen, das Vakzin kurz vorstellen, über mögliche Reaktionen aufklären, gegebenenfalls noch weitere gesundheitliche Dinge kurz besprechen, dann die Spritze. Der nächste Patient ist ein 85-jähriger Herr mit Pflegegrad 3 und diversen Vorerkrankungen. „Sie haben sich aber schick gemacht“, sagt Buschke zu ihm, als er sein langärmeliges blau-rot kariertes Hemd auszieht. Er habe sich schon gewundert, dass er bisher nicht zur Impfung eingeladen worden sei, erzählt der Patient seiner Ärztin.

Buschke und ihre Kollegin haben mittlerweile fast alle hochbetagten Patienten ihrer Praxis geimpft. Denn bei weitem noch nicht alle hatten vorher die Impfung gegen das für Ältere besonders gefährliche Coronavirus erhalten. Der Impfstart war holprig - in Brandenburg und in Beelitz. Erst Mitte Januar wurden die ersten Bewohner des Seniorenzentrums geimpft. Alle anderen älteren Beelitzer der ersten Priorisierungsgruppe mussten anfangs ins Impfzentrum nach Potsdam fahren - wenn sie überhaupt einen Termin ergattern konnten. Später kamen noch weitere Impfzentren hinzu, beispielsweise in Brandenburg/Havel. Dennoch haben viele sehr alte Beelitzer den Weg nicht geschafft. Erst recht nicht die bettlägerigen Patienten, die Buschke in extra Touren angefahren hat. Eine logistische Herausforderung, da sie eine geöffnete Ampulle Biontech, die sechs Impfdosen ergibt, innerhalb von zwei Stunden verimpfen muss. Hinzu kommt, dass der empfindliche mRNA-Impfstoff nicht starken Erschütterungen ausgesetzt sein darf. „Ich packe die Spritzen gut ein“, sagt Buschke.

Auch die im Beelitzer Ärztehaus ansässige Internistin und Hausärztin Jarmila Pasch musste noch viele ältere Patienten impfen. „Von den ganz Alten waren nur zwei Drittel geimpft“, sagt sie. Sie gehe dabei streng nach der Priorität. „Ich trage schließlich die Verantwortung“, sagt Pasch. Wie die Impfzentren, müssen sich auch die Hausärzte an die von der Ständigen Impfkommission (Stiko) und der Bundesregierung vorgegebene Impfreihenfolge halten. Auch Buschke lässt da nicht mit sich reden. Ihr Mann beispielsweise hat keine Chance, bei seiner Frau mal so nebenher mitgeimpft zu werden. „Er ist jung und noch lange nicht dran“, sagt sie.

Die Nachfrage ist groß, ständig rufen Patientinnen und Patienten in der Praxis an, um einen Impftermin zu ergattern. „Auflegen. Nächster Anruf“, berichtet Dana Berndt, die leitende medizinische Fachangestellte in der Praxis. „Wir arbeiten mittags durch.“ Und nicht alle seien freundlich. Bisweilen müssen sich Dana Berndt und ihre Kolleginnen von Patienten beschimpfen lassen, die nicht verstehen wollen, dass sie noch nicht an der Reihe sind. Auch bei Pasch ist der Andrang groß. Selbst Impfgegner wollten sich nun die Spritze gegen das Coronavirus verpassen lassen, berichtet die Ärztin. Das sei auch gut so. „Nur so gehen die Zahlen runter.“ Die Impfung sei der einzige Ausweg aus der Coronakrise. Buschke hatte sogar einen Patienten, der nach der ersten Impfung zwar Corona bekam - dann aber keine Symptome entwickelte. „Es ist schön zu sehen, dass die Impfung funktioniert“, sagt die Ärztin.

Landesweit beteiligen sich 2200 Praxen am Impfen - 1500 Hausärzte und 700 Facharztpraxen wie Kinderärzte, Frauenärzte und Onkologen. „Die Bereitschaft in den Praxen ist riesengroß“, sagt der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB), Christian Wehry.  Auch in Beelitz machen die meisten Hausärzte mit. Viele wollen sich dazu aber nicht öffentlich äußern. Auch der Klaistower Spargelbauer Ernst-August Winkelmann hat seinen Erntehelfern schon ein Impfangebot gemacht. Bisher hätten sich zehn bis 15 Prozent der Belegschaft impfen lassen, sagt Winkelmann.

Dass die Impfkampagne an Fahrt aufgenommen hat, liegt natürlich auch daran, dass jetzt deutlich mehr Impfstoff in Deutschland und somit auch in Brandenburg ankommt. Im Mai werden in die Brandenburger Impfzentren fast 300.000 Dosen Impfstoff der vier bisher zugelassenen Präparate nach Brandenburg geliefert, im Juni sollen es schon 376.000 sein, sofern die Hersteller ihre Zusagen einhalten. In den Arztpraxen, die vom Bund über den Apothekengroßhandel Impfstoffe erhalten, waren in der zweiten Maiwoche 48.000 Dosen Biontech und 39.000 Dosen Astra Zeneca angekündigt, berichtet KVBB-Sprecher Wehry. Im Juni sollen sich die Liefermengen von Biontech an die Ärzte gegenüber dem Mai bundesweit noch mehr als verdoppeln.

Vielen niedergelassenen Ärzten geht das alles aber nicht schnell genug. Pasch bekam in der ersten Woche nur eine einzige Ampulle mit Biontech-Impfstoff, in der zweiten Woche waren es acht. Bestellt hatte sie das Doppelte. „Das ist eine Katastrophe, bei diesem Tempo können wir Weihnachten abschreiben“, stöhnt Pasch. Sie könne 30 bis 50 Patienten pro Tag impfen. Immerhin hat sie in der dritten Woche und vierten Woche für sich und ihren Praxisnachfolger Eike Hirsemann schon pro Woche 116 Dosen Biontech und Astra Zeneca erhalten.

Zu den knappen Lieferungen hinzu kommt die schlechte Planbarkeit. Buschke bekommt erst Freitagabend Bescheid, wie viele der bestellten Ampullen für die kommende Woche tatsächlich geliefert werden, Pasch sogar erst am Montag.

Die Beelitzer Diabetologin Brigitte Altmann mutmaßt sogar, dass die Praxen gegenüber den Impfzentren benachteiligt werden. „Man kommt sich vor wie die Resterampe.“ Sie habe den Eindruck, dass die milliardenschweren Impfzentren durch bevorzugte Lieferungen aufrechterhalten bleiben sollten.

Altmann hatte als eine von landesweit 410 Pilotpraxen schon vor dem offiziellen Start angefangen, Beelitzer zu impfen. 200 Patienten haben bei ihr die schützende Spritze erhalten. Jetzt hat sie entschieden, mit dem Impfen aufzuhören, nachdem wiederholt der angekündigte Impfstoff nicht kam. Oder sie bekam Astra Zeneca statt Biontech und auf einmal sprangen die Patienten wieder ab, weil sie nunmehr beim Hausarzt mit Biontech geimpft werden konnten. „Niemand hat hier einen Gedanken zu Ende gedacht, das ist weder gegenüber den Patienten noch gegenüber uns als impfende Praxen fair“, sagt Altmann. Mittlerweile hat das Land das Modellprojekt ohnehin für beendet erklärt und gibt an die Praxen keine Impfstoffe mehr aus dem Landeskontingent ab.

Die Vorbehalte gegen Astra Zeneca sind ein großes Thema in den Praxen. Viele Patienten schrecken davor zurück, sich mit dem Vakzin des britisch-schwedischen Herstellers impfen zu lassen. „Viele sind verunsichert über die Berichterstattung“, sagt Buschke. Dabei seien die Impfstoffe gleichwertig, wie Frau Dr. Altmann beton. Trotzdem: Nach dem Auftreten einiger Fälle von Hirnvenenthrombosen hatte die Stiko ihre Empfehlungen geändert. Der Impfstoff solle nicht mehr bei Patienten unter 60 Jahren eingesetzt werden. Bei Buschke müssen Patienten einen Monat länger warten, um eine Impfung mit Biontech zu bekommen. Das nehmen aber viele in Kauf. Ein Verhalten, das der Virologe Christian Drosten im Podcast „Coronavirus Update“ als unsolidarisch gerügt hat. Buschke sagt dagegen, sie könne niemanden zwingen, nur aufklären. Mittlerweile können sich auch Jüngere auf eigenes Risiko mit dem Vektorimpfstoff impfen lassen, die Priorisierung ist für sie aufgehoben.

Dennoch ist auffällig, dass in Brandenburg scheinbar im Ländervergleich besonders viel Impfstoff liegenbleibt. Mit Stand 15. Mai wurden 48,7 Impfdosen pro 100 Einwohner in die Mark geliefert. Verimpft sind allerdings erst 43,7 Dosen, wie aus dem Impfdashbord des Bundesgesundheitsministeriums hervorgeht. Nordrhein-Westfalen, das 48,8 Dosen je 100 Einwohner bekam, hat dagegen 48,6 Dosen verwendet.

Das Land will jetzt Tempo bei den Impfungen machen. Fachärzte und Betriebsärzte sollen beim Impfen einbezogen werden, die Impfzentren sollen entgegen der Forderung der Kassenärzte aufrechterhalten bleiben.  „Wir brauchen alle verfügbaren Kapazitäten“, sagt Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Ziel sind landesweit mindestens 200.000 Impfungen in der Woche.

Bei Buschke ist die Impfsprechstunde zu Ende. Zwölf Patienten können mit der ersten Dosis Biontech nun einen ersten Impfschutz aufbauen. Die zweite Dosis bekommen sie in sechs Wochen.

(Text und Bilder: Antje Schroeder)

Der Artikel ist in der Ausgabe Mai 2021 der "Beelitzer Nachrichten" erschienen.